Schätzungsweise 30 Millionen Tonnen Plastikmüll befinden sich derzeit in den Meeren und Ozeanen - und weitere 109 Millionen Tonnen in Flüssen. Welche Risiken sind mit der Herstellung und Verwendung von Kunststoffen verbunden, und wie können Unternehmen ihre Risiken verringern?
  • Kunststoff landet zum größten Teil auf einer Mülldeponie oder in der Umwelt, wo es Jahrzehnte oder Jahrhunderte dauern kann, bis es sich zersetzt; das verschmutzt nicht nur die Umwelt, es schädigt potenziell auch die Gesundheit von Mensch und Tier.
  • Für Unternehmen sind die Risiken unterschiedlich hoch; je nachdem, ob sie Harze herstellen, Kunststoffe in großem Umfang in ihrer Produktion oder Lieferkette verwenden und wie streng sie ihr Risikomanagement handhaben.
  • Unternehmen müssen herausfinden, wo innerhalb ihrer Produktionsprozesse der Einsatz von Kunststoffen zu Umweltverschmutzung führen könnte und wie dies vermieden werden kann.
  • Die Zahl der Rechtsstreitigkeiten in Bezug auf Kunststoffe nimmt zu. Die petrochemische Industrie bietet die größte Angriffsfläche, aber auch andere Sektoren können betroffen sein. Eine Rolle spielen dabei wohl die Art des Kunststoffs und sein Verwendungszweck; Materialien, die mit Lebensmitteln, Kleidung, Kosmetika und Kinderspielzeug in Berührung kommen, stehen unter besonderer Beobachtung.

Wenn Sie einen Fisch aus den entlegensten Meeren an Land ziehen, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass Sie Plastik in seinem Magen finden. Die winzigen Fasern könnten aus dem Abwasser von Waschmaschinen, aus Körperpflegeartikeln, die in Toiletten heruntergespült werden, oder aus der Zersetzung von Plastiktüten und -verpackungen stammen.

Dass Plastik in Fischen zu finden ist, die in den tiefsten, dunkelsten Ozeanen leben, ist ein Hinweis darauf, wie weit verbreitet dieses menschengemachte Material inzwischen ist. Von zwei Millionen Tonnen im Jahr 1950 [1] ist die jährliche Kunststoffproduktion bis 2021 [2] auf fast 391 Millionen Tonnen gestiegen - und nur ein Bruchteil davon wird recycelt.

Der erste vollsynthetische Kunststoff wurde im Jahr 1907 patentiert. Mehr als 100 Jahre später beherrscht der Stoff unsere Welt. Unsere Wohnungen und Büros sind damit gefüllt. Wir putzen unsere Zähne mit Plastikzahnbürsten, trinken und essen Lebensmittel aus Plastikbehältern und tragen Kleidung aus Plastik. Plastik ist inzwischen so weit verbreitet, dass es erdgeschichtlich kennzeichnend für unser Zeitalter geworden ist.

Doch Plastik schadet unserer Gesundheit und der Umwelt. Es verschmutzt unsere Landschaften, Meere, Luft und Körper. Wir nehmen diese Stoffe täglich auf oder atmen sie ein. Und sie sind zunehmend eine Quelle für Rechtsstreitigkeiten.

Einem Bericht der Minderoo Foundation zufolge ist zwischen 2022 und 2030 mit einer Welle von Klagen gegen Unternehmen im Zusammenhang mit Kunststoffen zu rechnen. Der Bericht schätzt, dass hierbei allein in den USA ein Volumen von über 20 Mrd. USD erreicht werden kann. [3]

Der in Zusammenarbeit mit Praedicat und der Anwaltskanzlei Clyde & Co erstellte Bericht The Price of Plastic Pollution stellt fest, dass die Rechtsstreitigkeiten wohl hauptsächlich die petrochemische Industrie betreffen werden. Es könnten allerdings auch Klagen gegen große Verbraucherunternehmen erhoben werden.

Arthur Lu, Head of Environmental Impairment Liability Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS), meint, die Unternehmen müssten sich vorbereiten: "Je nachdem, wo Ihr Unternehmen im Spektrum der Kunststoffindustrie angesiedelt ist, könnte es dem Risiko ausgesetzt sein, aufgrund von chemischen Zusatzstoffen, etwa ‚MNP‘, für Schäden an der menschlichen Gesundheit oder an der Umwelt haftbar gemacht zu werden.“ Gemeint ist Mikroplastik, das weniger als 5 mm oder ein Fünftel eines Zolls lang ist, und Nanoplastik, das etwa 1 nm bis 1 mm groß ist (4e-8 bis 0,04 Zoll). Solche Stoffe können durch industrielle Prozesse, Kunststoffabfälle, kosmetische Produkte oder durch Abbauprozesse in die Umwelt gelangen.

"Das Risiko, rechtlich belangt zu werden, gehen außerdem Geschäftsführer und leitende Angestellte ein, die Greenwashing betreiben", fügt Lu hinzu.

Erste Warnschüsse gab es bereits. Letztes Jahr hat sich ein amerikanisches Kaffeeunternehmen in den USA und in Kanada mit einem Verbraucher bzw. einer Aufsichtsbehörde geeinigt, nachdem es mit Behauptungen über die Wiederverwertbarkeit seiner Einweg-Kaffeepads in Konflikt geraten war. Auch das Earth Island Institute, eine in Kalifornien ansässige Umweltgruppe, hat drei separate Klagen gegen Hersteller von Plastikwaren eingereicht. Es hat sich einen Namen gemacht, indem es namhafte Marken wegen Plastikverschmutzung verklagt. [4]

Im Januar dieses Jahres reichten drei NGOs eine Klage gegen ein Lebensmittelunternehmen in Frankreich ein. Sie behaupteten, das Versäumnis des Unternehmens, eine Strategie für den Ausstieg aus der Verwendung von Kunststoffen festzulegen, verstoße gegen das französische Gesetz zur Sorgfaltspflicht von Unternehmen aus dem Jahr 2017. Die NGOs fordern keinen Schadensersatz, sondern wollen das Unternehmen dazu zwingen, seinen Kunststoffverbrauch zu bewerten und seinen Wachsamkeitsbericht in Bezug auf eine Kunststoffstrategie zu aktualisieren.

"Dies ist ein Beispiel für die Verlagerung von Rechtsstreitigkeiten aus der petrochemischen Industrie in andere nachgelagerte Sektoren, wie die Lebensmittel- und Getränkeindustrie", sagt Lu.

"Bisher gab es noch keine großen Verluste durch Urteile oder Auszahlungen. Doch die Risiken, denen Unternehmen ausgesetzt sind, variieren - je nachdem, ob sie Harze herstellen oder Kunststoffe als Hauptbestandteil ihrer Produkte oder Produktverpackungen verwenden, wie verbreitet Plastik in ihrer Lieferkette an die Verbraucher ist und wie streng sie ihr Risikomanagement handhaben, wenn es um Berichterstattung, Kommunikation, Regelkonformität und Transparenz geht."

Im März 2022 einigten sich die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen darauf, bis Ende 2024 ein rechtsverbindliches globales Abkommen zur Beendigung der Plastikverschmutzung auszuhandeln [5]. Die Allianz wurde eingeladen, der UN Finance Leadership Group on Plastics als Gründungsteilnehmer und erster Versicherungsträger beizutreten.

"Unsere Teilnahme macht deutlich, dass die Allianz eine Stimme im Finanzsektor hat, um unsere Erwartungen an den Vertrag zum Ausdruck zu bringen", sagt Arthur Lu, Leiter des Bereichs Impairment Liability bei AGCS. "Unser Ziel ist es, andere in der Branche zu inspirieren, damit sie Maßnahmen zur Reduzierung der Plastikverschmutzung und -produktion ergreifen."

Die Gruppe wird Rückmeldungen von einer Reihe von Interessengruppen, darunter Regierungen, die Privatwirtschaft und andere Parteien, einholen, um eine Perspektive für das künftige Abkommen zu entwickeln und dem zwischenstaatlichen Verhandlungsausschuss Input zu liefern.

"Die Versicherungsbranche kann eine der einflussreichen Parteien in der Gruppe sein, um die Plastikverschmutzung zu reduzieren und unsere globale Wirtschaft in eine Kreislaufwirtschaft zu überführen. Unsere Teilnahme wird die Bemühungen der Allianz verstärken, die Veränderungen herbeizuführen, die wir alle brauchen, um die Plastikverschmutzung zu beenden.“

Vor dem Zweiten Weltkrieg schlossen sich die Erdöl- und die chemische Industrie zusammen, um die bei der Verarbeitung von Erdöl und Erdgas anfallenden Abfallstoffe zu nutzen. In dieser Zeit wurden Polyethylen (Polyäthylen), Teflon und Nylon entwickelt. Bei ihrer Einführung in den USA im Jahr 1940 wurden innerhalb von vier Tagen vier Millionen Paar Nylonstrümpfe verkauft. Aber erst nach dem Krieg kam die Kunststoffproduktion so richtig in Schwung. Verformbarer Kunststoff begann, teureres Papier, Glas und Metall durch Wegwerfartikel wie z.B. Verbraucherverpackungen zu ersetzen. Kunststoff tauchte in Polyethylentüten, Lebensmittelbehältern aus Polystyrol, PET-Flaschen (Polyethylenterephthalat) und Spielzeug auf.

Plastik, das nicht ordnungsgemäß entsorgt wird, kann in die Umwelt gelangen. Derzeit befinden sich schätzungsweise 30 Mio. Tonnen Kunststoffabfälle in den Meeren und Ozeanen und 109 Mio. Tonnen in den Flüssen [6]. Die Eigenschaften, die Kunststoff so nützlich und haltbar machen, erschweren auch seine Entsorgung. Eine Plastikflasche braucht 450 Jahre, um sich in der Meeresumwelt zu zersetzen, ein Getränkehalter aus Plastik mit sechs Ringen 400 Jahre und eine Plastiktüte 20 Jahre [7]. Einige Kunststoffe brauchen Tausende oder sogar Zehntausende von Jahren, bis sie sich auf Mülldeponien zersetzen. Auch die Zersetzung selbst ist ein Problem. UV-Strahlung, Oxidation und Reibung zerlegen Kunststoff in mikroskopisch kleine Partikel, die unsere Meere, die Luft und die Ökosysteme verschmutzen.

Andreas Merkl, Senior Advisor der Stiftung Minderoo und Autor des Berichts, stellt fest, dass die gesundheitlichen Auswirkungen von Mikroplastik in unserem Körper noch nicht vollständig bekannt sind. "Vielen Menschen ist aufgefallen, dass der Boom der Kunststoffproduktion in der Nachkriegszeit mit einem parallelen Anstieg von Gesundheitsstörungen einherging, die von Autismus und ADHS bis hin zu bestimmten Autoimmunkrankheiten, Fettleibigkeit, abnehmendem Fortpflanzungserfolg und Entwicklungsstörungen reichen. Sie fragten sich, ob hier eine Korrelation oder eine Kausalität besteht“, sagte Merkl bei der Vorstellung des Berichts.

"Die von uns durchgeführte Synthese und Analyse, die die Überprüfung und Metaanalyse tausender wissenschaftlicher Arbeiten umfasste, zeigt, dass der Kausalzusammenhang nicht mehr in Zweifel steht. Plastik trägt erheblich zum Anstieg dieser Gesundheitsstörungen bei.“

Claudia Donzelmann, Global Head of Regulatory and Public Affairs bei der Allianz, war Mitglied des Beirats für den Bericht. "Als Versicherer gehen wir Risiken ein. Deshalb müssen wir verstehen, welche Risiken entstehen und was sie für uns, unsere Kunden und andere Stakeholder bedeuten. Was können wir als Versicherungsunternehmen tun, um zur Lösung einer wichtigen gesellschaftlichen Herausforderung beizutragen? Die Versicherungsbranche hat sich freiwillig und massiv für Net Zero bei Treibhausgasemissionen eingesetzt, und uns interessiert, wie wir das Gleiche im Hinblick auf Kunststoffe erreichen können."

Die größte Gefahr sind die Chemikalien, die routinemäßig zugesetzt werden, damit Kunststoffe biegsam und stabil bleiben. Viele der gefährlichsten Chemikalien - Phthalate, Bisphenole und fluorierte Verbindungen - finden sich in Flaschen, Lebensmittelverpackungen, Verbraucherverpackungen, Drähten, Kabeln, Rohren, Schläuchen, Stoffen und Baumaterialien.

Der Kontakt mit Bisphenol A (BPA) und Phthalaten wird mit möglichen gesundheitlichen Auswirkungen in Verbindung gebracht, wie etwa hormonelle Störungen. Dann gibt es noch PFAS (Per- und Polyfluoralkyl-Stoffe), auch "forever chemicals" genannt. PFAS kommen in der Natur nicht vor und werden in der natürlichen Umgebung kaum abgebaut. Sie wurden im Trinkwasser, im Blut und in der Muttermilch von Menschen und Wildtieren weltweit gefunden.

Eine Studie aus dem Jahr 2021 [8] ergab, dass PFAS in Einwegverpackungen für Lebensmittel in Imbissbuden und Supermärkten verwendet werden. Sie finden sich auch in antihaftbeschichteten Kochgeschirren, Kosmetika, Textilien und Elektronik.

Lu meint, dass die Sektoren, die am meisten von Rechtsstreitigkeiten betroffen sind, je nach den von ihnen verwendeten Kunststoffen variieren werden. "Dazu können Unternehmen aus dem Konsumgütersektor gehören, die Chemikalien in Materialien mit Lebensmittelkontakt, Kleidung, Kosmetika oder Spielzeug verwenden. In Bezug auf MNPs könnten das Unternehmen sein, die Produkte mit Mikroplastik versetzen, z.B. Körperpflegeprodukte. Andere Quellen von MNPs können aus dem Abbau von Makroplastik [größer als 5 mm] während des Gebrauchs oder der Entsorgung entstehen, z.B. durch die Abnutzung von Gummireifen."

600 Mrd. $  Wert des globalen Kunststoffmarktes
4x  Der Plastikverbrauch hat sich in den letzten 30 Jahren vervierfacht
1.254  Als besonders besorgniserregend eingestufte Zusatzstoffe/Verarbeitungsmittel in der Kunststoffproduktion
50%  Plastikmüll landen auf der Deponie
22%  finden sich auf unkontrollierten Müllhalden, werden in offenen Gruben verbrannt oder landen in der Umwelt
19%  Plastikmüll werden verbrannt
9%  Plastikmüll werden recycelt
800  Von der Plastikverschmutzung betroffene Meeres- und Küstenarten
2/3  Zwei Drittel der Kunststoffabfälle stammen aus Kunststoffen mit einer Lebensdauer von weniger als fünf Jahren
1,8Gt  Die durch Kunststoffe verursachten Treibhausgasemissionen im Jahr 2019 (3,4 % der globalen Gesamtmenge)
Quelle: Minderoo Foundation, OECD, Secretariat of the Convention on Biological Diversity

Haftpflichtrisiken machen sich wahrscheinlich zuerst bei Personenschäden bemerkbar, die von Arbeitnehmern geltend gemacht werden. Es gibt Präzedenzfälle in der Arbeitgeberhaftung, insbesondere in den USA, in denen das Recht der öffentlichen Belästigung eine Grundlage für Ansprüche bieten könnte, wie das bei den jüngsten Opioid-Prozessen zu sehen war.

"Kunststoffe sind allgegenwärtig", sagt Lu. "Da viele Unternehmen an der Produktionskette beteiligt sind, sind die potenziellen Auswirkungen groß. Aber es wird schwierig sein, die Verursacher oder Verantwortlichen für mutmaßliche Schäden oder Verletzungen zu ermitteln".

Lu rät Unternehmen, sich zu schützen, indem sie die mit ihren Prozessen verbundenen Kunststoffspuren, die zu Umweltverschmutzungen führen könnten, ausfindig machen, um sie zu vermeiden – etwa im Rahmen von Produktdesign, Forschung und Entwicklung sowie Abfall- und Chemikalienmanagement.

"Zu den Abhilfemaßnahmen sollte auch der Übergang zu nachhaltigen Alternativen gehören, insbesondere für MNPs. Für Unternehmen, die in der chemischen Industrie tätig sind, bedeutet dies, dass sie die Verwendung von Stoffen, die mit gesundheitsschädlichen Auswirkungen verbunden sind, einstellen müssen.“ Lu fügt jedoch hinzu, dass die Substitution durch alternative Materialien mit höheren Kosten und möglichen Nebeneffekten wie höheren Treibhausgasemissionen verbunden sein könnte. Daher sei es nicht einfach, eine allgemeingültige Lösung zu finden.

[1] Our World in Data, Plastic Pollution, April 2022
[2] Statista Research Department, Global Plastic Production 1950-2021, January 25, 2023
[3] Minderoo Foundation, The Price of Pollution: Social Costs and Corporate Liabilities, 2022
[4] The Guardian, Rush of lawsuits over plastic waste expected after ‘historic’ deal, March 9, 2022
[5] United Nations Environment Assembly of the United Nations Environment Programme, Resolution adopted by the United Nations Environment Assembly on 2 March 2022 [6] OECD, Plastic pollution is growing relentlessly as waste management and recycling fall short, February 22, 2022
[7] Our World in Data, Decomposition rates of marine debris items, 2018
[8] CHEM Trust, PFAS in food packaging: New European wide investigation, May 20, 2021

Bilder: AdobeStock

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