Globale Versicherungsprogramme für große Unternehmen gewinnen an Bedeutung, sind aber auch sehr anspruchsvoll. Neben der Erfüllung der Basisanforderungen müssen Versicherer gemeinsam mit ihren Kunden überzeugende Antworten auf eine volatile Risikolandschaft und rasante Technologiesprünge finden. Sechs Trends – von Geopolitik bis hin zum Metaverse – sollten sie dabei auf dem Radar haben. 
Von Dr. Sven Bach, Head of Multinational, Allianz Global Corporate & Specialty Central & Eastern Europe.
Erstveröffentlichung am 30. März 2023 im Versicherungsmonitor. 

Der weltweite Markt für internationale Versicherungsprogramme (IVP) wird in 2023 und in den kommenden Jahren weiter wachsen. Nach Schätzungen der Swiss Re hat er bereits einen Wert von rund 50 Mrd. Dollar (46,2 Mrd. Euro) erreicht. Das Wachstum hat mehrere Ursachen: unsere immer stärker vernetzte Welt, die laufend steigende Zahl überregional beziehungsweise international tätiger Unternehmen sowie niedrigere Eintrittsbarrieren durch Digitalisierung und neue Technologien.

Gleichzeitig finden sich global tätige Unternehmen und ihre Versicherer aktuell in einem anspruchsvollen Umfeld wieder, wenn sie harmonisierten Versicherungsschutz über IVP herstellen wollen – angefangen von geopolitischen Krisen und Spannungen, über die Zunahme komplexer Regulierung bis hin zu neuen Technologien. Wir haben sechs Trends identifiziert, die Versicherer und multinationale Unternehmen auf dem Radar haben sollten:

1) Zunehmende Regulierung

Versicherungsnehmer und -geber sehen sich weltweit mit zunehmenden regulatorischen und aufsichtsrechtlichen Herausforderungen konfrontiert. Mit teilweise protektionistischen Maßnahmen versuchen insbesondere Schwellenländer, die heimische Versicherungswirtschaft zu schützen, da sie im Rahmen der IVP einen erheblichen Kapitalabfluss befürchten. Vor allem sogenannte „Non-admitted“-Staaten stehen hier im Mittelpunkt der Diskussion. In solchen Ländern dürfen Risiken nur über lokal zugelassene Versicherer gezeichnet werden. Beispiel China: Hier ist die Gestaltung des IVP besonders herausfordernd, da bei Nicht-Beachtung der lokalen Regelungen mit rechtlichen Konsequenzen gerechnet werden muss.

Neben dem Trend zu kontinuierlich zunehmender Regulierungsdichte müssen Versicherer zudem mit unterschiedlichsten lokalen Gesetzgebungen umgehen und das IVP so gestalten, dass dieses den jeweiligen Regularien entspricht. Globale Programme, die lokal angeboten, aber gleichzeitig global koordiniert werden, gewährleisten einen umfassenden Versicherungsschutz und können dazu beitragen, Verstöße gegen regulatorische Vorschriften zu verhindern.  Gleichzeitig gewinnen globale Risikoberatungs- und Schadendienstleistungen in diesem Umfeld zunehmend an Bedeutung.

2) Geopolitische Spannungen

Vom Angriff Russlands auf die Ukraine und dem daraus resultierenden Krieg bis hin zu sozialen Unruhen und Protesten: Das unbeständige (gesellschafts-)politische Umfeld beeinflusst die Risikolandschaft dramatisch und stellt Risikomanager vor die Herausforderung, wie sie ihre Unternehmen angesichts von Konflikten, politischen Unruhen, wirtschaftlichen Risiken, Unterbrechungen der Lieferkette und zunehmenden Cyber-Bedrohungen schützen können. Die meisten Experten, darunter viele, die an der Umfrage zum Allianz Risk Barometer 2023 teilnahmen, gehen davon aus, dass insbesondere Unternehmen mit grenzüberschreitender Tätigkeit noch einige Zeit lang mit erheblichen Störungen konfrontiert sein werden.

Um für die wachsende Zahl von Krisen gewappnet zu sein, ist eine Szenarienplanung unerlässlich, ebenso wie die Sicherstellung eines angeglichenen Versicherungsschutzes über Ländergrenzen hinweg. Versicherer sollten sich mittels Krisenmanagementspezialisten über die Situation in kritischen Ländern auf dem Laufenden halten und dort zudem eine Zusammenarbeit mit mehreren lokalen Partnern erwägen. 

3) Transparenz in Echtzeit

Unternehmen haben die Bedeutung von Daten und Digitalisierung für ihr Geschäft erkannt und wollen ihre Geschäfte zunehmend digital abwickeln. Wenn es um IVP geht, erwarten die Versicherungsnehmer Echtzeitinformationen und viel schnellere Durchlaufzeiten als in der Vergangenheit – einschließlich 24/7-Zugriff auf Versicherungsdaten und Echtzeit-Updates im Hinblick auf den Implementierungsstand aller (Lokal-)Policen, auf die (lokalen) Prämienzahlungen wie auch auf  Schadenfälle und deren Abwicklung.

Führende Versicherungsunternehmen setzen auch auf die Digitalisierung, um das Management und die Koordination globaler Versicherungsprogramme zu verbessern, die administrativen Prozesse zu beschleunigen und die Datenerfassung und -analyse zu erweitern. Die API-Technologie (Application Programming Interface) ermöglicht einen Datenaustausch in Echtzeit und damit eine effizientere Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten. So wird transparenter, was über eine Lokalpolice oder den Mastervertrag abgedeckt beziehungsweise versichert ist. Potenzielle Lücken im Versicherungsschutz können dann leichter erkannt und vermieden werden, was die Arbeit für Kunden, Makler und Versicherer gleichermaßen erleichtert.

Letztlich trägt die Digitalisierung zu einem besseren Verständnis von Risiken bei. Mit dem Zugriff auf umfangreiche Daten und Informationen kann ein Risikomanager ein tieferes Risikoverständnis gewinnen, auf dieser Basis effektiver mit Maklern und Versicherern zusammenarbeiten und leichter passgenaue Deckungskonzepte erstellen.

4) Mehr Eigentragung

Multinationale Unternehmen setzen vermehrt auf diverse Formen alternativen Risikotransfers und integrieren hierfür insbesondere Captive-Lösungen im Rahmen ihrer globalen Programme, sei es mit oder ohne Risikotransfer oder als Full-Service-Captive. Eine Captive ist eine konzerninterne (Rück-)Versicherungsgesellschaft, die vor allem für diejenigen Versicherungsnehmer interessant ist, die ein traditionelles IVP bevorzugen, gleichzeitig aber den Anteil der Risiko-Eigentragung erhöhen möchten. Dies kann unterschiedliche Gründe haben: Die im traditionellen Versicherungsmarkt geforderte (und zumeist volatile) Prämie wird als nicht (länger) repräsentativ für das zu tragende Risiko erachtet, oder Kapazitäten in bestimmten Bereichen sind knapp oder nicht vorhanden.

Captive-Lösungen sind ein wertvolles Instrument, wenn es darum geht, die unterschiedlichen Deckungen der verschiedenen Tochtergesellschaften in der ganzen Welt zu koordinieren und Risikoinformationen über Exponierungen und Schäden zu sammeln. Die Muttergesellschaft kann ihre Versicherungskosten reduzieren, indem sie bestimmte Risiken ganz oder teilweise selbst schultert. Da die Erträge aus Investitionen und Versicherungsprämien direkt an die Muttergesellschaft fließen, können Captives auch zur Gewinnoptimierung eingesetzt werden.

Virtual-Captive-Verträge bieten denjenigen multinationalen Unternehmen eine interessante Alternative, die den hohen Aufwand, den Ressourceneinsatz und die langfristige Kapitalbindung scheuen, die mit der Einrichtung einer echten Captive einhergehen.

5) ESG im Fokus

Umwelt, Soziales und Unternehmensführung – unter dem Kürzel ESG sind fast alle Aspekte von Nachhaltigkeit zusammengefasst, die für multinationale Unternehmen immer stärker in den Fokus rücken, nicht zuletzt durch die Anforderungen und Erwartungen seitens Aufsichtsbehörden, Investoren, Kunden und Beschäftigten. Die Regulierung im Bereich Nachhaltigkeit nimmt weltweit zu und geht für Unternehmen mit weitreichenden Berichts-, Offenlegungs- und Compliance-Pflichten einher.

Im Versicherungssektor hat ESG zum einen durch mehr Nachhaltigkeit und ethische Verantwortung bei Investitionen an Bedeutung gewonnen; zum anderen spielen ESG-Kriterien eine immer wichtigere Rolle im Underwriting.

Globale Programme können Organisationen bei der Bewältigung von ESG-Themen helfen. In den IVP werden sie über Plattformen und Tools in das Underwriting integriert, um rechtskonforme Programme bereitzustellen, während Technologie und Datenanalyse zunehmend bessere Einblicke in neu entstehende Risiken wie Klimawandel, Cyberrisiken und globale Lieferkettenprobleme liefern. Somit unterstützen globale Programme maßgeblich bei der Umsetzung einer Unternehmens-strategie und eines Risikomanagementansatzes, die der steigenden Bedeutung von ESG-Faktoren Rechnung tragen.

6) Neue Technologien

Was heute noch in den Anfängen steckt, könnte sich rasant entwickeln: Zur Verbesserung von Prozessen und Kundenerfahrung wird die Versicherungsbranche auch im Bereich globaler Programme verstärkt auf künstliche Intelligenz (KI), Datenanalyse und Process-Mining-Software setzen – langfristig auch auf Metaverse-Technologien. Große Datenmengen werden von KI-Systemen verarbeitet, um Muster und Trends zu erkennen, Schwachstellen aufzudecken, Entscheidungen zu treffen und Verfahren zu automatisieren und zu verbessern. Dabei könnten Erkenntnisse, die aus KI-gestützten Analysen und Daten gewonnen werden, die Grenzen der Versicherbarkeit erweitern, bestehende Produkte ausbauen und zu innovativen Risikotransferlösungen beitragen.

Gleichzeitig hat das Metaverse – der Raum, in dem miteinander verbundene physische und virtuelle Realitäten zusammenkommen – das Potenzial, Erfahrungen zu bieten, die in der realen Welt nicht möglich sind. Im Metaverse können Kunden in einer virtuellen Umgebung mit dem Versicherungsunternehmen in Kontakt treten, Informationen austauschen und Transaktionen testen oder durchführen. Von diesen Technologien wird auch das Design und Management globaler Programme profitieren – vorausgesetzt, die Sicherheit der Daten und die Wahrung von Fairness und Transparenz in den Systemen sind gewährleistet.

Globale Versicherungsprogramme sind ein anspruchsvoller Bereich in der Firmen- und Industrieversicherung, der weiter an Bedeutung gewinnen wird. Erfolg und Differenzierung vom Wettbewerb werden von zwei Dimensionen abhängen. Erstens: „Get the basics right“. Die administrative Umsetzung solcher Programme über zahlreiche Länder, Partner und Systeme ist komplex, muss aber schnell, reibungs- und fehlerlos funktionieren. Zweitens müssen Versicherer gemeinsam mit ihren multinationalen Unternehmenskunden überzeugende Antworten auf eine volatile Risikolandschaft und rasante Technologiesprünge finden.   

Allianz Risk Barometer

  1. Cyber incidents (34%) - 2022 rank: 1 (44%)
  2. Business interruption (34%) - 2022 rank: 2 (42%)
  3. Macroeconomic developments (25%) - 2022 rank: 10 (11%)

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